Im Gespräch mit dem BOTTLE Magazin erzählt der 60 Jahre alte Kapitän, wie die Resonanz auf sein umweltfreundliches Projekt ist, wie man sich die Zeit auf hoher See vertreibt, warum er einmal in einer Kneipe mitten im Atlantik versackt ist, obwohl er nur kurz auftanken wollte, und warum sein gesegelter Rum einfach besser schmeckt.
BOTTLE: Herr Bockermann, klären wir erst mal die wichtigen Fragen: Was ist Ihr Lieblingsgetränk?
CORNELIUS BOCKERMANN (Leise): Ach ... naja ...
Haben Sie gerade die Qual der Wahl?
Nee ... um ehrlich zu sein, es ist Weißwein.
Ist nicht Ihr Ernst?! Sie stechen für Gin und Rum in See, segeln meilenweit und trinken lieber Weißwein? Ich habe mir das klassischer vorgestellt: Sie abends allein an der Reling, in der Hand ein Glas Rum, auf das weite Meer schauend ...
Ja, wirklich! Ich trinke abends sehr gerne ein Glas Weißwein. Tatsächlich ist Alkohol auf See auch verboten. Es heißt doch, die Seefahrt und der Rum gehören unzertrennbar zusammen.
Früher haben die Seefahrer an Bord das Wasser mit Rum oder Alkohol desinfiziert. Deswegen hatten sie auch ständig einen im Tee. Denn das Wasser, das sie in Fässern mit an Bord hatten, wurde nach zwei, drei Wochen schlecht und verfaulte zur Brühe. Viele Seemänner litten an Infektionskrankheiten und sind deswegen gestorben. Rum eignet sich hervorragend zum Desinfizieren. Heute kann man an Bord sein frisches Wasser selbst erzeugen.
Das heißt, bei Ihnen gibt es gar keinen Alkohol an Bord?
Einmal in der Woche lade ich meine sieben- bis achtköpfige Crew zum Kapitänsempfang ein. Dann gibt es für jeden ein Glas Rum. Den trinken wir und klönen zusammen. Rum trinke ich mittlerweile auch sehr gerne. Wir haben einen hervorragenden 21 Jahre alten Rum. Ganz besonders gut schmeckt er, wenn man dazu ein Stück Schokolade ist. Mmhh, ich sage Ihnen: Das ist ein Gedicht!
„Bei ständig schwankenden Temperaturen auf dem Schiff werden die Fässer hin und her geschaukelt, vom salzigem Meerwasser umspült, und wir haben festgestellt: Das ist genial!“
Die Avontuur ist jetzt bereits zum vierten Mal von Elsfleth in der niedersächsischen Wesermarsch aus, dort liegt Ihr Zweimaster, in die Karibik in See gestochen. Wie ist die Resonanz auf das umweltfreundliche Projekt?
Ganz zu Anfang hieß es noch: „Wer braucht denn so was?“ Mittlerweile könnten wir das Segelschiff dreimal vollladen, so viele Anfragen haben wir. Unsere Kunden sind sehr zufrie- den und sagen: „Mensch, wir wollen, dass ihr unsere ganze Fracht transportiert, aber das sind 1.200 Tonnen aus Mexiko, dafür habt ihr gar nicht die Kapazität, das könnt ihr nicht.“ Nö, können wir auch nicht – aber bald! Die Nachfrage ist so groß, dass wir jetzt ein weiteres Schiff, einen Dreimaster, gekauft haben und größere Schiffe bauen werden. Geplant ist für den Anfang ein Neubau mit einer Kapazität von ca. 5.000 Tonnen, aber damit soll es natürlich nicht aufhören.
Fast 40 Jahre waren Sie für die internationale Schifffahrt tätig und sind große Brummer gefahren. Wie ist die Idee für einen umweltfreundlichen Frachtsegler entstanden?
Das war ein schleichender Prozess. In Nigeria habe ich über 20 Jahre viel für die Ölindustrie gearbeitet, habe Öltanker geborgen, Wracks beseitigt und Schwertransporte für international bekannte Mineral- und Erdgasunternehmen gemacht. Das Nigerdelta ist der schlimmste zerstörte Ort, was die Umwelt angeht. Der Betrieb von Schiffen mit Schweröl ist nichts anderes als legalisierte Giftmüllverbrennung auf See. Meine Frau und ich sind nach Australien ausgewandert, weil wir dachten, das ist ein schönerer Ort, um dort mit der Familie zu leben. Wir wollten am Great Barrier Reef, an der Nordostküste Australiens, arbeiten. Doch das Korallenriff ist in einem katastrophalen Zustand. Da dachte ich: Das reicht jetzt, da musst du etwas gegen tun, so geht das nicht weiter, wir machen jetzt eine Segelschiffrederei auf. Das war 2013. 2014 habe ich dann die Firma Timbercoast gegründet.
Ihr Ziel ist „Mission-Zero“, also null Emission, wie das Label, mit dem Sie Ihre per Segelschiff transportierten Produkte auszeichnen?
Genau. Timbercoast war von Anfang an dafür gedacht, Menschen zu erreichen und sie zum Nachdenken zu bringen.
Ganz zu Anfang wollte ich nur die australische Küste hoch- und runterfahren. Aber jetzt fühle ich mich verpflichtet, das Projekt zu vergrößern und zu zeigen, dass wir eine echte Alternative zum Hochseetransport sind. Und das haben wir geschafft. Produkte weltweit emissionsfrei zu transportieren – das ist möglich, davon bin ich überzeugt. Natürlich müssen wir auch Geld verdienen, aber es geht nicht nur ums Geld, es geht um die Botschaft. Unsere Waren aus Übersee sind die Botschafter unserer Mission und die soll verbreitet werden.
Haben Sie Nachahmer?
Abgesehen von uns gibt es noch eine Handvoll Frachtsegelschiffe, wie die „Tres Hombres“ aus Österreich und die Norlys von „Fairtransport“ aus Holland. Erstere sind schon seit gut zehn Jahren dabei, letztere sind noch im Bau, werden aber voraussichtlich nächstes Jahr den Betrieb aufnehmen. Der Transport mit Segelfrachtschiffen wird sich auch weiterentwickeln. Dazu gehört auch, dass wir unser Konsumverhalten einfach überdenken müssen. Norwegen und die Niederlande wollen ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr zulassen. Das wird auch in der Seefahrt kommen. Ich bin sicher, dass wir in 30 Jahren keine fossilen Brennstoffe mehr benutzen werden. Wir brauchen sie eigentlich schon heute nicht mehr!
Sie verschiffen und verkaufen auch eigene Produkte wie Kaffee, Kakao, Salz, Honig, Schokolade, Gin, Korn und Rum der Marke ‚Avontuur gesegelte Waren‘. Was unter- scheidet Ihre gesegelte Ware von anderen?
Wir haben Produkte, die einen hohen Wert haben, verhältnis- mäßig einfach zu transportieren sind und die es in Deutsch- land so nicht gibt. Es sind keine lokalen Produkte, weil wir die Regionalität unterstützen und nicht mit lokalen Produkten konkurrieren wollen. Deswegen verschiffen und vertreiben wir auch keine Kartoffeln, die gibt es hier in Deutschland genug. Wir wollten gesegelte Produkte anbieten. Dazu gehören eben Kaffee, Kakao oder auch Rum aus Übersee. Okay, Rum wird auch hier in Bremen gebrannt, aber aus importierter Melasse, und wir von Timbercoast haben ganz bewusst keinen Melasse-Rum, sondern Rhum agricole.
Sie verschiffen auch Honig, den gibt es hier in Deutsch- land doch auch?
Der Honig, den wir verschiffen, ist von den Azoren. Dort subventioniert der Staat den Export von Honig zu 90 Prozent. Was passiert? Er wird quer durch die Welt geflogen. Da haben wir gesagt, wir nehmen euch das ab und verschiffen die Ware emissionsfrei.
Okay, und wo ist der Unterschied zwischen Melasse-Rum und Rhum agricole?
Melasse ist eigentlich ein Abfallprodukt, eine Art Sirup, der bei der Zuckerraffinade übrig bleibt und so viel Zuckergehalt hat, den man nicht kristallisieren, aber verwenden kann. Verdünnt man ihn, setzt ihn mit Hefe an und lässt ihn vergären, hat man Alkohol. Rhum agricole dagegen wird aus frisch- gepresstem Zuckerrohrsaft hergestellt. Der wird vergärt und dann zu Rhum agricole destilliert, der ein viel breiteres Aromenspektrum hat und frischer schmeckt. Diese Sorte Rum ist selten. Lediglich zwei bis drei Prozent der Weltproduktion an Rum sind agricole. Außerdem muss Rum auch gesegelt sein.
Warum?
Fassgelagerte Spirituosen reifen für gewöhnlich ruhig im Keller, bei immer gleichen Lagerbedingungen. Wir wollten das Gegenteil ausprobieren: Bei ständig schwankenden Temperaturen auf dem Schiff, werden die Fässer hin und her geschaukelt, vom salzigem Meerwasser umspült, und wir haben festgestellt: Das ist genial! Die Reifung geht viel schneller, ist viel intensiver. Der Rum verändert sich sehr positiv. Und wir dachten, wenn das mit Rum geht, geht das auch mit Korn! Unsere ersten drei Rumfässer haben wir dann mit Korn von der norddeutschen Edelkornbrennerei Joseph Rosche in Haselünne befüllt. Herr Rosche meinte noch: „Vergiss das mal, das bringt nichts, lass uns den Korn hier im Keller fünf bis sechs Jahre lagern, dann ist er reif.“
Und?
(Lehnt sich leicht über den Tisch, schmunzelt, hebt seinen Zeigefinger und betont): Unser Korn – ich will da ja nicht übertreiben – ist der beste Korn der Welt. Es gibt nichts Leckereres auf der Welt als unseren Korn! Er ist weltweit der einzige gesegelte Korn und überquerte auf der Avontuur zweimal den Nordatlantik, 13.000 Seemeilen auf der ersten Reise und 18.600 Seemeilen in ehemaligen Rotweinfässern auf der letzten Reise! Er ist einer unserer Botschafter für sauberen Seetransport.
Brauchen Kaffee und Kakao auch das Meer für ein besseres Aroma?
Ganz und gar nicht! Das ist eine ganz empfindliche Ladung, da müssen die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit stimmen. Kakao- und Kaffeebohnen sind biologische Waren, die sehr empfindlich sind. Das ist die Herausforderung beim Segelfrachtschiff: Die Fürsorge für die Ladung muss gewährleistet sein.
Rösten Sie die Bohnen sofort?
Nein, sonst gehen die ätherischen Öle raus. Unseren grünen Kaffee aus Mexiko beispielsweise lagern wir in Deutschland in Säcken und rösten ihn je nach Bedarf. So bleibt er länger frisch und verliert seine Aromen nicht.
Wie kommen Ihre Waren bei den Verbrauchern an?
Sehr gut. Beispielsweise haben wir unsere eigene Schokolade in drei unterschiedlichen Sorten entwickelt, eine cremig-salzige, eine mit Schokosplittern und eine mit Chili. Wir haben mal aus Spaß 300 Tafeln machen lassen, 100 von jeder Sorte – in zwei Wochen waren die verkauft! Jetzt haben wir 1.000 Tafeln von jeder Sorte nachbestellt und hoffen, dass es für das Weihnachtsgeschäft reicht (lacht).
Sie verkaufen ja jetzt auch Gin.
Gin von den Azoren, von Peter Café Sport, einer Kneipe in Horta, dem Hauptort von Faial. Das Lokal stammt aus den 1920ern. Der Ur-Opa, der erste Peter, hat es gegründet. Sie ist die berühmteste Kneipe mitten im Atlantik. Die Insel ist eine Art Zwischenstation für Seeschiffe auf dem Weg über den Atlantik. Damals sind dort auch Postflugzeuge gelandet und haben getankt. Im Peter Café Sport gab es schon immer Gin Tonic. 1984 wollte ich dort nur kurz anhalten, auftanken und Proviant einkaufen. Wir haben damals eine Yacht von Guadeloupe zurück nach Deutschland überführt. Nach 30 Tagen meinte ich: „Wenn wir uns nicht jetzt auf den Weg machen, kommen wir hier nie weg (lacht)!“ Der Gin dort war schon immer lecker. Mittlerweile produziert Peter Café Sport seinen eigenen Gin und jetzt sind wir die Einzigen, die diesen auf dem Festland anbieten. Wer ihn trinken will, muss sonst auf die Insel mitten im Atlantik segeln.
Die Schifffahrt aus dem norddeutschen Elsfleth über die Nordsee, den Atlantik bis in die Karibik und zurück kann gut und gerne neun Monate dauern.
Wie vertreiben Sie sich die Zeit an Bord?
Mit Arbeit.
Sie arbeiten doch nicht die ganze Zeit?
Doch natürlich! Wir arbeiten 24/7. Da wird Ruderwache gegangen, dabei muss jemand 24 Stunden am Steuer stehen, man wechselt sich stündlich ab, denn wir haben keine Selbststeueranlage. Dann wird repariert, gestrichen, die Segel müssen bedient werden, es wird gesetzt, geborgen, gerefft und ausgerefft. Das ist physisch anstrengende Arbeit! Früher hat man junge Männer um die 20 auf See mitgenommen, die körperlich fit waren. So fit sind wir heute gar nicht (lacht). Aber Pausen haben wir natürlich auch.
Und was machen Sie oder die Crew-Mitglieder in den Pausen?
Schlafen, Lesen, Backgammon spielen. Heute kann man ja auch mal auf dem Laptop Filme sehen. Allerdings habe ich das bis heute nur zweimal erlebt, dass jemand auf See seinen Laptop mit dabei hatte und einen Film sehen wollte. Die meisten wollen das Meer genießen. Da sitzt man gerne oben im Mast, das sind die besten Plätze, und schaut auf das Meer. Den Platz müssen sie aber erst mal ergattern (lacht)! Und nachts, nachts gibt es nichts Schöneres als den Sternenhimmel auf See. Das haben Sie an Land so gar nicht. An Land haben wir überall Licht und Rückstrahlung, das gibt es auf dem Meer nicht. Das Licht, die Details, die Tiefe, die der Sternenhimmel auf See hat – das ist einmalig.
Seit Februar sind Sie wieder an Land. Scharren Sie schon mit den Füßen und wollen bald wieder in See stechen?
(Lacht.) Ich strebe immer zum Meer und aufs Wasser. Wissen Sie, es ist wie beim Bergsteigen: Man klettert, erreicht einen Gipfel und sieht: „Ach, dahinter ist ja noch etwas“, und will immer mehr und immer weiter hinter den Horizont schauen. Auf dem Meer ist der Horizont zwar rund, aber trotzdem: Ich will immer weiter und schauen, was dahinter ist.
